Die Vjosa

Europas wildes Juwel

Große Flusseinzugsgebiete in  Albanien – das Einzugsgebiet der Vjosa  ist rot markiert. Quelle: WikipediaEuropas wildes Juwel

Albanien

 

Die Vjosa in Albanien ist einer der letzten lebendigen Wildflüsse Europas. Im gesamten Flussverlauf, also auf einer Strecke  von über 270 Kilometern, fließt sie ungezähmt und frei. Sie zeichnet sich durch wunderschöne Schluchten, ursprüngliche Flussabschnitte mit Inseln, vielen Seitenarmen und weitläufigen Mäander aus. An manchen Stellen ist das Flussbett mehr als zwei Kilometer breit. Mit ihren Zuflüssen bietet die Vjosa ein dynamisches, naturnahes Ökosystem, das in ganze Europa seines gleichen sucht. Kurz: Die Vjosa ist ein ausgesprochen wertvoller – und weitgehend unbekannter – Teil des europäischen Naturerbes. Während der ersten 80 Kilometer fließt der Fluss durch Griechenland, wo er Aoos genannt wird. In Albanien wird er zur Vjosa. Im unteren Abschnitt mäandriert sie durch ein weites Tal mit ausgedehnten Weichholz Auen, die Laichplätze für Fische sowie Lebensraum für Zugvögel und viele weitere Arten  bieten. Schließlich mündet die Vjosa nördlich der Narta Lagune ins Meer. Die Narta Lagune ist eine der größten und ökologisch reichsten Lagunen in Albanien und als „Managed Nature Reserve“ ausgewiesen. Die Vjosa entwässert ein Einzugsgebiet von insgesamt 6.700 Quadratkilometer und speist das Adriatische Meer mit durchschnittlich 204 Kubikmeter Wasser pro Sekunde

 

Dieser wilde Flussabschnitt nahe Tepelena würde im künftigen Kalivaç-Stausee untergehen. Foto: Romy Durst

Artenvielfalt

Artenvielfalt

Die Wissenschaft weiß noch sehr wenig über die Vjosa und ihre Artenvielfalt. Sie ist einer der letzten nahezu unerforschten Flüsse in Europa. Vermutlich wissen wir mehr über die Biodiversität von Flusssystemen in Südamerika oder Asien als über die der Vjosa. Bis heute gibt es kaum Studien über diesen Fluss. Aber die wenigen vorhandenen Untersuchungen unterstreichen ihre Bedeutung als das Zentrum der Artenvielfalt.

Der vom Aussterben bedrohte Europäische Aal. Die Staudämme würden seine Hauptlebensräume in den Zuflüssen zur Vjosa  abschneiden. Foto: blickwinkel/ A. Hartl. Rosaflamingo (Phoenicopterus roseus) in der Narta Lagune, Vjosa Delta. Foto: Ferdinand Bego

Das Flusstal beheimatet überlebensfähige Bestände des potentiell gefährdeten Fischotters (Lutra lutra) und verschiedene wandernde Fischarten, darunter der vom Aussterben bedrohte Europäische Aal (Anguilla anguilla). Außerdem leben hier subendemische Fischarten wie der Ohrid-Steinbeißer (Cobitis ohridana) oder die Pindus-Bachschmerle (Oxynoemacheilus pindus), das heißt, sie kommen nur in dieser die Region vor und nirgendwo sonst. Auch die Pflanzenwelt des Ökosystems Vjosa ist beeindruckend. Der oberste Flussabschnitt beheimatet eine Vielfalt von bedrohten, endemischen Pflanzenarten, wie den vom Aussterben bedrohten Solenanthus albanicus. Für das untere Tal sind Eichenmischwälder (Quercus sp.) und Östliche Erdbeerbäume (Arbutus andrachne) typisch; letztere wachsen in Albanien ausschließlich im Vjosa-Tal.

Soziale und kulturelle Werte

Soziale und kulturelle Werte

Rafting an der Vjosa. Quelle: Albanian Rafting FederationFür die Menschen, die an ihren Ufern wohnen, spielt die Vjosa im täglichen Leben eine zentrale Rolle.  Die Flussterrassen bieten den Dörfern fruchtbares Land für Ackerbau und Viehhaltung. Der Reichtum und die Vielfalt an Fischen stellen einen wesentlichen Wirtschaftsfaktor dar und sind Lebensgrundlage für die örtlichen Fischer. Der Erholungstourismus an der Vjosa und ihren Zuflüssen gewinnt zunehmend an Bedeutung, besonders in den letzten Jahren, in denen sich Sportarten wie Raften, Paddeln und Schwimmen einer immer größeren Beliebtheit erfreuen.

Die Existenz zahlreicher Kleinbetriebe und Ökotourismus-Unternehmen ist von einer frei fließenden Vjosa abhängig. Darüber hinaus hat der kristallklare Fluss für die Menschen in Albanien einen emotionalen Wert: die Vjosa wird als kulturelles Erbe wahrgenommen. Viele Mädchen werden heute nach der Vjosa benannt; der Name steht für die Schönheit und die Unberührtheit des Flusses.

Die Bedrohung

Die Bedrohung

Wasserkraftnutzung stellt aktuell die größte Bedrohung für Flüsse dar. Über 400 neue Wasserkraftwerke sind in Albanien geplant. Entlang des albanischen Abschnitts der Vjosa will das Energieministerium acht Dämme errichten lassen. Im oberen griechischen Abschnitt plant die griechische Regierung ein weiteres Staudammprojekt, um etwa 70 Millionen Kubikmeter Wasser pro Jahr zu Bewässerungszwecken über den Kalamas Fluss umzuleiten und dem Einzugsgebiet der Vjosa zu entziehen.

Die Zukunft der Vjosa aus Sicht der Wasserkraftlobby. Quelle: Ministry of Trade and Energy of Albania, 2008

 

Vjosa Flusslandschaft. Foto: Goran ŠafarekDer Bau dieser Dämme – oder auch nur eines einzigen – würde den herausragenden ökologischen Wert der Vjosa vernichten. Ein Staudamm würde das hydrologische System komplett verändern und den natürlichen Sedimenttransport (Sand und Kies) unterbinden – die treibende Kraft, die die hochgradig dynamischen morphologischen Prozesse entlang der Vjosa bewirkt.  

Auch die Zuflüssen der Vjosa bleiben nicht verschont. An der Langarica, einem Zufluss am Oberlauf  der Vjosa, sind zwei kleine Wasserkraftwerke bereits in Betrieb, ein weiteres ist nahe dem Zusammenfluss mit der Vjosa im Bau. Alle drei Kraftwerke befinden sich im Nationalpark Hotovës-Dangelli und widersprechen den internationalen Richtlinien für Nationalparks. Finanzielle Unterstützung für diese drei Kleinkraftwerke kam und kommt von der Weltbank.

Die Langarica zeichnet sich durch eine 7 km lange und 80 m tiefe Schlucht aus, die bereits in den 1970er Jahren als Naturdenkmal ausgewiesen wurde. Aufgrund seiner niedrigen Wassertemperatur dient das kiesreiche Flussbett der Langarica vielen Fischarten als Laichgebiet. Weiter wird die Langarica von 8 Thermalquellen gesäumt, die das ganze Jahr über Hunderte von Touristen an den Fluss locken. Durch den Bau des 3. Kraftwerks sind die Thermalquellen Anfang Oktober 2014 vorübergehend ausgetrocknet. Die Menschen gingen daraufhin in Tirana auf die Straßen und forderten einen Baustopp. Obwohl der Umweltminister in Folge des Protestes die Einsetzung einer Arbeitsgruppe versprochen hat, wurde der Bau inzwischen fortgesetzt.

Die Vjosa ist ein europäischer Schatz. Ihr größter Wert ist ihre Unversehrtheit. Staudämme würden dieses einzigartige Ökosystem zerstören und ihr großes Potential für die Entwicklung eines nachhaltigen Ökotourismus in der Region zunichtemachen.

Die bis zu 80m tiefe Langarica Schlucht. Foto: Adrian Guri Thermalquellen entlang der Langarica locken Hunderte von Touristen jedes Jahr. Foto: Ulrich Eichelmann
Das Kalivaç Projekt

Das Kalivaç Projekt

Ausgesprochen dynamischer, durch ausgedehnte Mäander gekennzeichneter  Abschnitt der Vjosa im mittleren Flusslauf – diese Lebensräume würden durch den Kalivaç-Staudamm verloren gehen. Foto: Romy DurstDas erste Wasserkraftwerk, das von der Planungs- in die Bauphase getreten ist, ist das Kalivaç-Projekt nahe der Stadt Tepelena. Der Bau hat 2007 begonnen, wurde jedoch mehrere Male unterbrochen. Ursprünglich haben die italienische Becchetti Group und die Deutsche Bank die Hauptfinanzierung übernommen.  (http://www.begspa.com/eng/idroelettrico.htm).

Seit zwei Jahren ruhen die Bauarbeiten erneut. Erst etwa 30 Prozent des Projekts sind fertig gestellt - zum Glück für die Vjosa und ihre BewohnerInnen. Noch fließt die Vjosa frei, doch wie lange noch? Der Kalivaç-Staudamm würde den Sedimenttransport des Flusses von den Bergen bis zur Mündung in die Adria blockieren und damit den natürlichen Herzschlag des gesamten Flusssystems stoppen.

Durch das Blockieren der Sedimente käme es unterhalb des Staudamms zu einer verstärkten Tiefenerosion, die sich auf den gesamten folgenden Flussabschnitt auswirken würde. Sogar das Flussdelta an der Adria wäre betroffen. Die Auwälder würden auf einer Strecke von fast 100 Kilometern geschädigt. Sämtliche Lebensräume in und entlang der Vjosa würden in Mitleidenschaft gezogen. 

Die Vjosa und ihre Zuflüsse sind vor allem für wandernde Fischarten von großer Bedeutung, da sie auf klare, kalte und schotterreiche Gebirgsbäche angewiesen sind. So einen Lebensraum bietet der Hauptzufluss der Vjosa – der 85 Kilometer lange Drinos. Sowohl der Drinos als auch die obere Vjosa würden durch den Kalivaç Staudamm vom unteren Vjosatal und der Adria abgeschnitten werden. So ginge eines der letzten und größten verbliebenen Habitate für den Europäischen Aal sowie zahlreiche weitere wandernde Fischarten in Albanien verloren.

Daten & Fakten

Höhe des Staudamms:                45m

Länge des Staudamms:               350m

Fläche des Stausees:                  1.700 ha geflutete Fläche

Kapazität/ Jahresleistung:            90 MW/ 400 GWh

Abfluss bei Kalivaç:                     durchschnittlich 145 m³/s

Investition:                                  119 Millionen €

 

Der gesamte Flussabschnitt (100 Kilometer) unterhalb des künftigen Kalivaç-Staudamms würde durch die verstärkte Erosion und die veränderte Hydrologie beeinträchtigt. Foto: Ulrich Eichelmann
Schlussfolgerungen

Schlussfolgerungen

  • Im oberen Flussabschnitt der Vjosa bieten unberührte Schluchten, glasklares, kaltes Wasser und schotterreiche Flussbetten optimale Laichplätze für Fische. Foto: Goran ŠafarekDie unberührte Vjosa ist ein Ökosystem, das in Europa seinesgleichen sucht. Sie ist einer der letzten natürlichen Wildflüsse unseres Kontinents.
  • Wissenschaftlich ist der Fluss ein beinahe unbeschriebenes Blatt. Das Wissen über Artenvielfalt, Hydrologie und Sedimenttransport ist sehr begrenzt.
  • Staudammprojekte an der Vjosa und ihren Zuflüssen stellen die größte Bedrohung für den Fluss dar. Sie gefährden ihre Biodiversität, ihre Ökosystemfunktionen und ihre Hydrologie.
  • Ein einziger Staudamm an der Vjosa würde alle diese Werte und Funktionen vernichten und das beachtliche Potential für die Entwicklung eines nachhaltigen Ökotourismus in der Region untergrabn.
  • Bis heute wurde die Umweltverträglichkeit (Artenvielfalt, natürlicher Hochwasserschutz und Erosion des Flussbetts) des Kalivaç-Projekts nicht angemessen untersucht.

 

Wir fordern

  • die geplanten Staudammprojekte an der Vjosa und ihren Zuflüssen zu stoppen
  • die Ausweisung eines Nationalparks nach IUCN cat II. Der Vjosa Nationalpark soll der erste Wildfluss-Nationalpark Europas werden.

 

Mehr Photos hier: Galerie "Vjosa"

PDF Downloads

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  • Vjosa-Aoos Factsheet, welches wir auf der Pressekonferenz am 12. März 2015 in Tirana der Öffentlichkeit präsentierten und welches erstmals das gesamte Ausmaß der Bedrohung im Einzugsgebiet der Vjosa belegt. Danach droht Europas letztem großen Wildfluss die vollständige Zerstörung.
  • Im Rahmen des vom GEO Magazin ausgerufenen Tages der Artenvielfalt fand Mitte Juni 2014 an der Vjosa in Albanien eine Feldforschungsaktion der besonderen Art statt. Über 400 Arten wurden nachgewiesen. Davon gelten zehn Prozent als selten oder endemisch und sind in der Roten Liste gefährdeter Arten der IUCN sowie in der Roten Liste Albaniens aufgeführt. Finden Sie alle Ergebnisse im wissenschaftlichen Bericht der Vjosa Tage der Artenvielfalt report
Vjosa Videos

Vjosa Videos

 

Video: Vjosa am Scheideweg - ORF Beitrag

Beitrag über die Vjosa-Tour Veranstaltung in Selenica und das gelplanten Kraftwerk an der Langarica (Vjosa Zufluss) im Österreichischen Rundfunk ORF (ZIB2)

 

Video: Vjosa-Tour Veranstaltung in Selenica, 13. März, 2015

Ca 80 Personen nahmen an der Vjosa Tour Veranstaltung im Rahmen der Rettet das Blaue Herz Europas Kampagne in Selenica, Albanien am 13. März 2015 teil. Sie unterstützen enthusiastisch unsere Vjosa Nationalpark Idee, wie man in diesem Video sehen kann.

 

Video: GEO Tage der Artenvielfalt an der Vjosa

Sehen Sie hier das Video zum GEO Tag der Artenvielfalt an der Vjosa (12.-15. Juni 2014).

 

Video: Die Vjosa – Europas wildes Juwel

Informieren Sie sich über die Schönheit der Vjosa, ihren Wert und ihre Bedrohung in diesem Video von Adrian Guri. Es zeigt atemberaubende Aufnahmen der Vjosa, Eindrücke der Vjosa Pressekonferenz in Tepelenë und viele Interviews.

 

Video: Save the Vjosa! (Lava 303 feat. Blue Heart of Europe)

Vjosa goes Clubsound: FreundInnen der Balkanflüsse haben diesen tollen "Save the Vjosa" Remix mit fantastischen Vjosa-Aufnahmen produziert.

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